Tom (Beratung): Einer der coolsten Aufträge des Jahres war mit Sicherheit der Jubiläumsfilm für MED-EL, einem Hersteller für ganz besondere Hörgeräte. Die Anfrage war noch unscheinbar. Der Jubiläumsfilm sollte ehrlich sein, etwas mit den Patienten zu tun haben, die Internationalität des Unternehmens darstellen und kein Werbefilm voll austauschbarer Vignettenbilder sein. Nach einigen verworfenen Ideen kamen wir zu dem Schluss, dass echte Patienten aus der ganzen Welt, deren Leben sich durch das Hörgerät positiv verändert hat, die besten Darsteller sind. 20 Jahre, 20 Patienten aus 15 Ländern. Ups, eine Mega-Idee für eine Filmproduktion, welche ein entsprechendes Budget braucht. Innerlich zögernd habe ich sie dem Kunden präsentiert.

Andreas (Konzeption): Die Menschen erzählen wie ihr Leben früher war und wie die Gehörlosigkeit sie beeinträchtigt hat. Dann erzählen sie von Ihrem Lieblingsgeräusch. Hierauf folgt eine Symphonie aus den unterschiedlichsten Lieblingsgeräuschen (Kaffeemaschine, brummender Automotor, Musikinstrumente, etc.). Jeder Mensch hat ein anderes Lieblingsgeräusch und das ist meist mit seiner Heimat und seinen persönlichen Interessen verbunden.

Und es hat Boom gemacht.

Tom: Der Kunde fand die Idee sofort Klasse und pitchte sie intern. Wenige Wochen später trudelte die Budgetfreigabe bei uns ein und es war jetzt schon zu wenig Zeit. Aber alles andere ist ja auch langweilig. Über das Netzwerk fanden wir Kameracrews in 15 Ländern (von Saudi-Arabien, über Japan bis Australien und Europa). Wir suchten wochenlang Züge, Unterkünfte und führten eine Reisekostentabelle die so groß war wie der Jahresabschluss eines kleinen Unternehmens. Die lokalen Büros von MED-EL suchten uns die passende Patienten. Oft mussten wir umdisponieren. Wir telefonierten meist auf Englisch und sehr viel in der Nacht. Manchmal war ein Übersetzer von MED-EL dazwischen. Patienten verschoben Termine, sprangen ab und neue wollten mitmachen. Einige Crews wollten ohne Anzahlung nicht anfangen. Die Preisangaben waren nicht immer in Euro, sondern in Yen, Dollar oder Dirham. Bei so einem Projekt lernt man viel und wir organisierten bis die Excel-Tabellen glühten. Die Uhr tickte unermüdlich. Manchmal verließ uns ganz kurz der Mut, dann löste sich wieder ein Problem und weiter ging es.

Königsklasse Briefing.

Andreas: Jetzt mussten wir 20 Crews briefen. Dafür konzipierten wir ein ausführliches Creative-Briefing. Aber da man Bilder nicht nur in Worten beschreibt, drehten wir den ersten Patienten in Zürich selbst und lieferten mit unseren Clips die Vorlagen für die ganze Welt. In diesem Leitfaden befanden sich Einstellungen, Fragen zum Interview, die Anweisung für das Filmen der Person, wenn sie sich unbeobachtet fühlt und schließlich die Schlüsselszene, in der der Patient sein Lieblingsgeräusch „vorführt“. Wir zeigten das Dokument drei Kameramännern und baten sie uns Fragen dazu zu stellen. Dieses Feedback arbeiteten wir ein und am Ende entstand ein kleiner Briefing-Katalog samt Zugangsdaten für WeTransfer zur Abgabe.

Dreh, Dreh, Dreh.

Maxi (Kameraassistent): Die Interviews in Deutschland, Österreich und der Schweiz konnten wir selbst übernehmen. Somit ging unser zweiter Dreh nach Hopfgarten, einem gemütlichen Dorf tief in Österreich. Wir trafen hier auf eine Familie mit drei Kindern, welche uns aufgeschlossen und höflich begrüßten. Es war spannend, sich mit dem Patienten zu unterhalten. Auf die Frage hin, welches Geräusch er am meisten vermisse, antwortete er mit „das Rauschen des Wassers“. Denn an dem eigenen Haus schlängelt sich ein kleiner Bach entlang. Das Gespräch hat mich zum Nachdenken bewogen, welches Geräusch mir am meisten fehlen würde – es sind doch die einfachen Dinge im Leben, die glücklich machen.

Wir bekamen während des Interviews tiefe Einblicke in das gehörlose Leben des Patienten und wie das Produkt unseres Auftraggebers dieses verändert hat. Ein kleines Implantat, welches direkt hinter dem Ohr sitzt.

Einer der wichtigsten Teile des Jubiläumsfilms war die Komposition verschiedener Lieblingsgeräusche der Patienten. Eine kurze Symphonie, welche aus einfachen Sounds wie Motoren, Kaffeemaschinen oder eben dem Rauschen eines Bachs bestand. Dazu natürlich das passende Bild. Somit hat uns die Familie nach dem Interview zu dem am Haus anliegenden Bach begleitet, um hier unsere Schnittbilder und Tonaufnahmen machen zu können.

Schneiden ist wie Puzzeln.

Nico (Cutter): Jeden Tag kam neues Material – aus Tokio oder aus Warschau, aus der Schweiz, England oder aus Saudi-Arabien. Jedes Interview dauerte etwa eine Stunde und so wurden im Laufe der Wochen zwei große Festplatten randvoll. Oder genauer gesagt: Voll mit den Lebensgeschichten dieser Menschen. Sie erzählten uns wie sie ihr Gehör verloren haben. Schnell, durch einen Unfall oder schleichend durch eine Krankheit. Mal in jungen Jahren oder erst mit fortschreitendem Alter. Doch eins hatten alle Geschichten gemeinsam: Sie waren sehr persönlich und intim.

Die Daten erreichten uns auf unterschiedlichste Art und Weise. Via WeTransfer, persönliche FTP-Server oder eben per Post.

5.051 Dateien, davon sind alleine 1841 eizelne Filmclips.

Die Herausforderung bestand also nicht nur darin, aus über 20 Stunden Material einen kurzen Film zu schneiden, sondern auch den vielen Menschen gerecht zu werden, die an diesem Projekt beteiligt waren. Den 20 Patienten, die ihr Gehör verloren ebenso, wie den Kamerateams in den unterschiedlichen Ländern.

Das Material war so unterschiedlich wie man es sich nur vorstellen kann. Eine Frau aus Polen ging am Meer spazieren, ein älterer Herr aus Belgien lauschte dem Klang seiner Uhr und das Mädchen aus Deutschland spielte auf ihrer Geige. Im Grunde ist Filme schneiden wie Puzzle bauen. Aus vielen verschiedenen Einzelteilen entsteht ein Bild.

Die größte Herausforderung: Ich spreche die wenigsten Sprachen und benötigte Übersetzungen. Das funktionierte aber nicht als einfaches Transkript, denn ein paar der Sprachen verstehe ich so wenig, dass es mir unmöglich war dem gesprochenen Text einem geschriebenen zuzuordnen. In den Sprachen Japanisch, Arabisch oder Chinesisch kann ich nicht einmal ein „Äh“ von einem „Und“ unterscheiden. Zum Glück wurde das vorher in der Kalkulation schon berücksichtigt und Dolmetscher eingeplant. Für zehn Interviews bestellte ich also die Dolmetscher direkt in unsere Agentur. Ich zeigte ihnen die Interviews und wir analysierten Antwort für Antwort. Immer wieder musste ich nachfragen was gesagt wurde oder ob es sich bei einem Laut, um ein Räuspern, um ein „Äh“ oder sogar um ein Wort handelte ohne dem der Satz keinen Sinn ergäbe.

Im Laufe der Tage bekam ich ein gutes Gefühl für die verschiedenen Sprachen sowie für die einzelnen Lebensgeschichten, die Besonderheiten und die unterschiedlichen Bilder. Um mich wirklich auf den Schnitt konzentrieren zu können begann ich immer erst am späten Nachmittag und arbeitete in die Nacht hinein. Ohne das Tagesrauschen der Agentur setzte ich Stück für Stück die Teile des Puzzles zusammen. Die Mühe hat sich gelohnt. Nach vielen Wochen der Vorbereitung und Planung, nach nächtelangen Telefonaten mit Personen in anderen Ländern und anderen Zeitzonen, nach vielen Tagen des Sichtens und Schneidens präsentierten wir die erste Version. Erst bei uns im Büro im kleinen Kreis. Die Kollegen waren begeistert.

Wenige Tage später und mit ein wenig Feinschliff dann die persönliche Präsentation beim Kunden. Die Mitarbeiter waren hingerissen und hier und da gab es auch ein paar Tränchen. Der Film war aber noch ein wenig zu lang. So haben wir schweren Herzens noch gekürzt. Das ist nie leicht, aber wir kennen das. Das Endprodukt wurde dann auch mit einer Audiodeskription ausgestattet, da die Zielgruppe aus Menschen mit Hörschwierigkeiten besteht.

Andreas: Der Film wurde in drei Längen (Teaser für Social Media, Kurzversion und Langversion) ausgespielt. Die Premiere feierte er auf einem Kongress in Toronto und tingelt seitdem durch die Welt, um Ärzten und Patienten vom neuen Leben mit der Vibrant Soundbridge zu erzählen. Der Fokus liegt hier in erster Linie darauf Teilnehmer auf Kongressen anzusprechen und keine anonymen Internet-User.

Und fertig ist der Jubiläumsfilm! Danke

Ein riesiges Danke an die Crews auf der ganzen Welt. Ohne euch wäre das Projekt nichts geworden und wir sind mächtig stolz auf das was wir gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Auch zu MED-EL und Sarah wollen wir ganz herzlich Danke sagen. Danke für das Vertrauen und diese tolle Filmproduktion. Das bleibt uns definitiv in Erinnerung und wir zeigen es immer mit einem stolzen Lächeln.

Credits:

Produzent: PAGES Media

Projektleitung: Tom Papadhimas

Konzept: Andreas Bauerfeld

Organisation: Monika De Giorgi

Postproduktion: Nico Michel

Drehteams:

Deutschland, Österreich und Schweiz: Nico Michel, Nikolai Knoblauch, Maximilian Krause

Niederlande: Atlynn Vrolijk

Saudi Arabien: Illusion Media Production

Hong Kong: James Goldman Photography and Films

Japan: MED-EL Außenstelle Japan

Spanien: Nacho Penche

Kanada: Journeyman Film Company

Australien: On Set Solutions

Belgien: Woodland Pictures

UK: Lawrence Richards

Polen: Simple Frame

Türkei: Hande Zerkin

Argentinien: 25pFilms

Wer den Jubiläumsfilm noch nicht kennt, hat hier die Möglichkeit sich die Long-Version anzusehen. 6 Minuten sind heutzutage lange, aber es lohnt sich!

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